"Wir zahlen nicht für Eure Krise"

Für Demonstrationen unter diesem Motto am 28.März in Berlin und Frankfurt haben die Vorbereitungen und die Mobilisierung begonnen, ebenso für die Aktionen, Demonstrationen und Blockaden gegen den Nato Gipfel in Straßburg und Baden-Baden am 3. und 4. April. Die Interventionistische Linke (IL) hatte zu einem Antikapitalistischen Ratschlag am 25.Januar im Frankfurter Gewerkschaftshaus eingeladen und mehr als 300 AktivistInnen aus den unterschiedlichsten linken Organisationen, Strömungen und Bewegungen waren gekommen zur theoretischen und praktischen Vorbereitung dieser Aktionen und zur Entwicklung weiter gehender Perspektiven, um "das kapitalistische System umfassend in Frage zu stellen und das kommunistische Morgen zu erhellen" (Zitat aus der Zusammenfassung der Ergebnisse des Treffens und der sich stellenden Aufgaben durch einen Podiumsteilnehmer)

"Gemeinsam die K-Frage stellen! Radikale Alternativen der Überwindung von Krise und System konkret diskutieren", dazu hatte die Einladung zum Antikapitalistischen Ratschlag aufgerufen. Die K-Frage, das ist die Frage nach Krise, Krieg, Klimawandel, Kapitalismus - über ein kommunistische Danach und die Kämpfe, in denen es Gestalt annimmt.

In seinem im Plenum gegebene Impuls wies Christian Frings daraufhin, dass sich die Weltgeschichte beschleunigt habe, die Zyklen schneller verlaufen und der Einfluss, das Störpotential und die potentielle Macht der subalternen Klassen aufgrund der Entwicklung der Produktivkäfte ständig zu nehme. Der Kapitalismus werde empfindlicher für Interventionen und Störungen, da schon die Aktionen kleinerer Gruppen weiterreichende Folgen haben können. Das historisch Besondere der aktuellen Krise im Vergleich zu 1929 und früheren Krisen sei die Tatsache, dass die Kämpfe der Krise vorausgehen und nicht erst auf sie folgen. Die globale Revolte von 1968 betrachtet Frings als welthistorische Abkehr der Kämpfe vom bisherigen Bezug auf den (National-) Staat. Auch für uns heute seien die spontane Forderungen von 1968 wichtig: Sofortige Gleichheit, Recht auf soziale Andersheit und Selbstermächtigung statt Repräsentation.

Mona Bricke skizzierte die Bedeutung und Perspektiven der aktuellen Kämpfe um den Klimawandel und seine Folgen. Das bürgerlich-liberale Konzept eines von Großbritannien und den USA ausgehenden "Green New Deals" greife die Hauptverursacher (CO2-Produzenten) nicht an, sondern fördere das zentralisierte und monopolisierte Kapital, versuche es, weg zu bringen von fossilen Energieträgern und wolle so ein Unrechtsregime bloß durch ein anderes ersetzen (Bedeutung der Agrospritproduktion für die Zunahme von Hunger und Unterernährung). Perspektiven bieten die Kämpfe der 250 Millionen Kleinbauern der via campesina und die Forderungen und Kämpfe für food coops, Mobilität und kostenlosen öffentlicher Personennahverkehr, gutes Leben für alle (dies jedoch auf einem niedrigeren weniger energieaufwändigen Technologieniveau!).

Die vier Arbeitsgruppen (I. Globale Kämpfe - globale Rechte - globale Krise; II. Kapitalismus und Krise - New Green Deal und/oder Krieg; III. Krise, Klima und konkrete Utopie; IV. Konkrete Krisenfolgen - Chancen für linke Interventionen?) führten die Debatte weiter und berichteten danach dem Plenum. Hier einige Eindrücke aus der AG II., an der ich teilgenommen habe.

Jürgen Wagner (IMI-Tübingen) referierte anhand von offiziellen Dokumenten die Entwicklung der NATO zu einem Bündnis für weltweite militärische Interventionen und vertrat die These: Ein neuer kalter Krieg, eine neue Blockkonfrontation entsteht an der Energiefrage. So gibt es in einer Studie den Vorschlag, Unterbrechung der Energieversorgung für EU-/NATO-Ländern als bewaffneten Angriff zu verstehen und darauf entsprechend zu reagieren.

Den unbestreitbaren Zusammenhang zwischen sich verschärfender Armut und Bürgerkrieg zeigte Wagner am Beispiel des "Piratenproblems" vor der Küste Somalias. Das Strukturreformprogramm des IWF führte in Somalia - wie auch in vielen anderen Ländern - zum Zusammenbruch des Staates. Als Folge dieses Zusammenbruchs staatlicher Strukturen gab es dort keine Küstenwache mehr. EU-Trawler konnten ungehindert die einheimischen Fischbestände räubern und so die Existenzgrundlage der somalischen Fischer zerstören. Diese wurden dann Piraten, weil sie nicht anders überleben können. Sie verstanden sich ursprünglich als eine Art von alternativer Küstenwache und betrachteten ihre Forderungen an die gekaperten Schiffe als Zollforderungen. Darüber schweigen sich EU- und NATO-piratenbekämpfer aus, ebenso die bürgerlichen Medien.

Slawo Kubela aus dem Umkreis von "Express" (Zeitschrift beim LabourNet Germany: http://www.labournet.de) geht davon aus, dass die sozialen Kämpfe intensiver werden und damit die Chancen der radikalen Linken steigen. Sie darf sich jedoch nicht vor den Karren eines Kampfes der Kulturen oder Religionen spannen lassen und eventuell gar noch in eine "antiislamische Front" einreihen. Denn diesen Kampf gibt es nicht, das wird nur von interessierter Seite so etikettiert.

In diesem Zusammenhang muss die Linke sich der Frage stellen: Warum erfüllt Religion ein Bedürfnis, das Politik nicht mehr erfüllen kann? Religion muss als soziale Sprache verstanden und dekodiert werden. Die radikale Linke muss im Alltag erfahrbar werden und zur Rekonstruierung des von den Neoliberalen teilweise erfolgreich zerstörten Sozialen beitragen.

Solche Politik braucht Tradition - wir erfinden das Rad nicht beständig neu - muss diese weiterentwickeln, an alltäglichem Widerstand anknüpfen und so Hoffnung auf Alternativen konkret werden lassen.

Die Intention der Interventionistischen Linken, linksradikale Strömungen zu vernetzen, aus einem Nischendasein herauszutreten und alte Grabenkämpfe zu überwinden, wurde bei diesem Frankfurter Antikapitalistischen Ratschlag erfolgreich aufgenommen und führte zu kontroversen, jedoch nach vorne, auf gemeinsame Praxis gerichteten Diskussionen.

Zum Abschluss des Ratschlages vereinbarten die TeilnehmerInnen, in einigen Monaten (Mai?) erneut zusammenzukommen, um die Debatten fortzusetzen und zu vertiefen.

Reinhold Fertig